Nach drei Monaten durfte ich endlich mal wieder ein Tasting mit "echten" Menschen besuchen. Zwar konnten diverse Online-Tastings, bei denen ich auch hier und da über den Tellerrand in Richtung Wein oder Bier hinausschauen konnte, etwas über die Tasting-freie Zeit hinwegtrösten, aber eine Veranstaltung vor Ort hat doch eine andere Qualität. Ursprünglich hatten meine Frau und ich für Anfang Juni eine Rundreise durch Schottland geplant. Da dies aber aktuell nicht möglich ist, haben wir kurzerhand unsere Stamm-Unterkunft auf unserer Lieblingsinsel Helgoland gebucht, was sicherlich eine ebenfalls attraktive Alternative ist. Dies gilt vor allem deshalb, weil man bei Helgo-Heiner am Fronleichnam-Wochenende laut seiner Aussage den großen Augenring in krampfaderblau erringen kann, wenn man alle drei Tastings an diesem Wochenende besucht. Leider müssen wir jedoch am Samstag schon wieder abreisen, so dass es bei uns mit dem klassischen Donnerstag und dem folgenden Freitag mit Nine Springs nur für den kleinen Augenring in kneipenschlägereiblau reicht. Heute soll es aber zunächst um den Auftakt mit dem Donnerstags-Klassiker gehen.
Nachdem dann die Karkfinken - der beste Helgoländer Shanty-Chor der Welt - wie den ganzen Abend zwischendurch immer wieder einige Lieder zum Besten gaben, folgte ein elf Jahre alter GlenAllachie aus der Wood Finish Serie. Beim Moscatel-Finish sind in der Nase sehr cremige, fast sahnige Noten herausgekommen, die an Werters Echte und ein McSundae mit sehr viel Karamellsoße erinnern. Ein leichtes Fruchtaroma kommt durch ein wenig Rosine ins Spiel. Geschmacklich ist der Whisky sehr ähnlich, obwohl er nun deutlich weniger süß ist und dafür eine ausgeprägte Trockenheit zeigt, wie man sie vom Weißwein kennt. Im Hintergrund schwingt dabei noch etwas Nougat mit. Beim folgenden Whisky von The Whisky Agency aus Limburg ging es eher in Richtung heller Trockenfrüchte, allerdings kommt auch ein leicht holziges Aroma hinzu, das an frische Sägespäne erinnert. Zunächst ist der Whisky weniger fruchtig, als der Name Highland Single Malt 11yo Fruity Style verspricht, mit der Zeit werden die hellen Früchte jedoch etwas präsenter. Am Gaumen kommen dann noch Ananas und eine leicht herbe Note in Kombination mit ausgeprägter Süße hinzu. Aus welcher Destillerie der Whisky stammt, wird wie gewohnt nicht verraten, ich fühlte mich jedoch an einen Tullibardine erinnert.
Der folgende zwölf Jahre alte Bunnahabhain aus dem Sherry Butt von Signatory Vintage war schon im Vorwege mein Favorit und ich bin froh, schon vorab eine Flasche reserviert zu haben, denn noch bevor der erste Schluck durch die knapp fünzig Kehlen des Abends rann, waren die Flaschen ausverkauft. In der Nase gibt es hier frische und gebrannte Mandeln, dazu kommen Haselnüsse, helle Schokolade und Kirschen. Am Gaumen wird die Schokolade deutlich präsenter, gleichzeitig wird sie durch viel Karamell und leichte Zitrusnoten ergänzt. Zum Ende hin kommen Orangen und leicht herbe Aromen hinzu. Da wir heute auch einige Whiskys im Portfolio hatten, die sonst eher in Blends zu Hause sind, kam Heiner auch noch einmal auf Johnnie Walker zu sprechen. Dieser ist seiner Meinung nach sehr mild, wobei mild in seiner Definition die Abwesenheit von Allem bedeutet. Mein Zitat des Tages... Das Finale bildet dann der Port Askaig 100 Proof, dessen Name zwar auf einen Caol Ila hindeutet, die tatsächliche Herkunft ist aber nicht bekannt. Am Gaumen gibt es medizinische Noten mit Rauch in Kombination mit geräucherten Äpfeln. Geschmacklich treten dann aber vor allem Zitrusnoten in den Vordergrund, die aber weiterhin mit viel Torf und Rauch kombiniert werden. In der Nase wäre ich hier eher bei einem Lagavulin gewesen, geschmacklich passt Caol Ila aber sehr gut.
Insgesamt war es mal wieder ein wirklich tolles Tasting mit einem tollen Gastgeber und knapp fünzig Gästen, die sich aufgrund der Abstandsregelungen über die gesamte Straße verteilten. Der Exkurs zu Nine Springs hat Lust auf den kommenden Abend gemacht und die Karkfinken haben wie jedes Mal für eine tolle Stimmung in den Pausen gesorgt, in denen Heiner den nächsten Whisky ausgeschenkt und natürlich wieder leckere Schokolade u.a. von Marabou, Fazer und Lindt verteilt hat. Nach wie vor gehört das Donnerstags-Tasting bei Heiner zu den großen Highlights meiner regelmäßigen Urlaube auf Helgoland. Der einzige Haken dabei: Ich muss Heiner all mein Geld geben, weil ich immer wieder tolle Tropfen ins Glas bekomme. Wer in Zukunft einen Aufenthalt auf Helgoland plant, sollte unbedingt darauf achten, an einem Donnerstag Abend vor Ort zu sein, um eines seiner unvergleichlichen Tastings erleben zu können.
Übersicht der verkosteten Whiskys:
Mortlach 2007 12yo (Signatory Vintage), Single Malt Scotch Whisky, 12yo, 46%, EUR 46,- (bei Heiner EUR 40,-)
Nine Springs Single Cask Oloroso 5yo, German Single Malt Whisky, 5yo, 46%, EUR 54,- (bei Heiner EUR 52,50)
Glenallachie 11yo Wood Finish Series Moscatel Finish, Single Malt Scotch Whisky, 11yo, 46%, EUR 62,- (bei Heiner EUR 52,50)
The Whisky Agency Fruity Style Highland Single Malt, Single Malt Scotch Whisky, 11yo, 53,5%, EUR 100,- (bei Heiner EUR 86,50)
Bunnahabhain 12yo First Fill Sherry Butt (Signatory Vintage), Single Malt Scotch Whisky, 12yo, 58,8%, EUR 95,- (bei Heiner EUR 80,-)
Port Askaig 100 Proof, Single Malt Scotch Whisky, NAS, 57,1%, EUR 50,- (bei Heiner EUR 40,-)
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